Musikanten auf Reisen…

Unsere Mitglieder Lars Kleeb und Nicola Schaller sowie der ehemalige Kirchenmusikant Lukas Zemp nahmen in der Sommerpause an einem aussergewöhnlichen Militär-WK teil. Die Drei durften mit der Swiss Armed Forces Central Band nach Schottland reisen und am Royal Edinburgh Military Tattoo, welches unter dem Motto «Storys» stand, teilnehmen. Gesamthaft spielten sie 26 Shows in vier Wochen. Und das vor zu 97 Prozent ausverkaufter Arena, welche zirka 9000 Sitzplätze umfasst. Nebst der Central Band waren zahlreiche andere Militärformationen vor Ort, wie zum Beispiel: The Band of His Majesty`s Royal Marines Scotland, The Royal Air Force Band, The United States Air Force Band, His Majesty the King’s Guard Band and Drill Team of Norway und das Trinidad and Tobago Defence Force Steel Orchestra. Natürlich durften die Highland-Tänzerinnen und die Massed Pipes and Drums nicht fehlen.

…berichten im ausführlichen Rückblick vom Edinburgh Tattoo

Die Vorbereitung für die rund 7-minütige Show begann etwa vier Wochen vor dem Einrückungstag. In dieser Zeit musste der musikalische Teil der Show auswendig gelernt werden, denn die Band spielte am Tattoo in Edinburgh ohne Noten. Mitte Juli war es dann so weit, in Sursee startete die Probewoche. Vorerst erarbeiteten wir die Show musikalisch und am Ende des Tages machten wir Audioaufnahmen. Am zweiten Tag übten wir die Schritte und Abläufe ohne Instrumente, mit Hilfe des Playbacks vom Vortag. Vom Mittwoch bis am Freitagmorgen übten wir dann die Show mit unseren Instrumenten. Auswendig Spielen und Formationen Gehen war die grosse Herausforderung. In dieser Zeit entstanden einige Videos zur Analyse und für Verbesserungen. Eine Videoaufnahme ging an das OK des Edinburgh Tattoos, auch um Pyros und Lichteffekte zu definieren. Am Freitagnachmittag beluden wir einen Militär-Sattelschlepper mit unseren Instrumenten und Materialien. Dieser wurde während der folgenden Woche nach Schottland gefahren und kam gemeinsam mit uns an. Vor der Abreise wurden wir von der Armee noch mit dem Reiseoutfit ausgestattet: rotes Armee-Polo-T-Shirt, Trainer-, Softshelljacke und Cap.

Nach Abschluss der Probewoche in der Schweiz flogen wir von Zürich nach Edinburgh und bezogen anschliessend unsere Unterkunft im Studentenwohnheim der Universität Edinburgh. Dort erhielt jeder von uns ein Einzelzimmer. Diese Rückzugsmöglichkeit wurde im Verlauf des Monats noch sehr wichtig. In der ersten Woche in Schottland standen erneut Show- und Finale-Proben auf unserem Terminplan. Diese Proben fanden wenn möglich im Schloss statt. Da dieses tagsüber jedoch für Touristen offen war, probten wir meistens in den Redford Barracks. Die grösste Herausforderung war, dass unsere Drum-Section keinen Sichtkontakt zu Band und Dirigenten hatte, denn sie waren während der Show in einem Zelt mit der Stage-Band im Burggraben positioniert. Um die Band und die Schlagzeuger zu koordinieren, spielten pro Register 1 bis 2 Musikanten mit Kopfhörern. Diese hatten während der ganzen Show die Schlagzeuger auf dem Ohr. Um einen guten Sound für das Publikum zu produzieren, wurden die Musikanten mit Kopfhörern zusätzlich mit einem Mikrofon ausgerüstet. So konnten die Tattoo-Techniker unsere Musik gut abmischen. Nebst den Proben lernten wir Edinburgh immer besser kennen. Oft erkundeten wir die Innenstadt, Sehenswürdigkeiten oder gingen auf den Hügel Arthurs Seat. Fehlen durfte auch nicht, dass wir am Abend ein Pub aufsuchten und die regionalen Spezialitäten genossen. Dort lernten wir die schottische Freundlichkeit kennen… Wenn ein Pub um 12 Uhr oder 1 Uhr schliessen wollte, wurden wir regelrecht rausgeworfen.

Während der Probephase bemerkten wir das Ausmass und die Bedeutung des Tattoos in Edinburgh. Für die Show ist ein extremer Sicherheitsaufwand nötig. Am Donnerstag, 3. August, fand die Vorpremiere statt. Wir trafen uns immer eine Stunde vor jeder Show auf dem Edinburgh Castle, spielten einen Choral und ein paar Show-Ausschnitte zum Aufwärmen. Anschliessend folgte ein mentaler Durchgang, bei dem wir die ganze Show im Kopf durchspielten. Als wir vom Castle zurück in den Wartebereich gingen, konnten wir das erste Mal in die sich füllende Arena schauen. Der Wartebereich für die Künstler war direkt unter der Tribüne und dort hatten alle Bands zwei Container als Unterschlupf zur Verfügung. Fast die ganze Band stand bei der Eröffnungsnummer draussen und versuchte einen Blick auf die Show und das Publikum zu erhaschen.

Um hinter das Eingangstor zu kommen, mussten wir durch einen Tunnel Richtung Schloss gehen. Dort warteten wir kurz, fokussierten uns und jeder führte sein eigenes Ritual durch. Sei es nochmal einzelne Situationen abzurufen, Atemübungen für den richtigen Fokus durchzuführen oder anderes. Als Trinidad und Tobago ihre Show startete, durften wir endlich hinter das Tor gehen und jeder nahm sich nochmals kurz Zeit für sich. Dann kam der Befehl «Stand By», also «Haltet euch bereit». Das Herz begann höher zu schlagen. Das Tor öffnete sich, Rauch tauchte auf und unsere Show begann. An diesem Tattoo teilzunehmen ist ein ganz spezielles Gefühl und kann nur schwer beschrieben werden. Einen sehr schönen Vergleich hat ein langjähriger Tubist der Central Band gebracht: «Die einzigen Momente, in denen für mich die Zeit stillsteht, sind während dem Tauchen im Meer oder an einem Tattoo». Bei einer solchen Show ist jeder voll in diesem Moment, auch wenn sie 20-mal identisch läuft.

Die grösste Überraschung kam für uns jedoch nach der ersten Tattoo-Show. Die Bands marschieren jedes Jahr nach dem Finale-Act den oberen Teil der zum Schloss führenden Royal-Mile hinab, um zu den Cars zu kommen. In einer grossen Kurve standen dort jeden Abend 200 bis 300 Menschen und schauten zu, wie wir vorbeimarschierten. Nach dem geordneten Ausmarsch fuhren wir mit den Bussen direkt ins Studentenwohnheim zurück und konnten uns umziehen. Nebst der Verpflegung und der Unterkunft bot uns das Studentenwohnheim noch eine Cast-Bar. Das heisst, dort durften alle Künstler den Abend ausklingen lassen. Wir konnten vor allem während der Probephase, beim Warten auf den Show-Start und in der Cast-Bar neue internationale Kontakte knüpfen. So kam es vor, dass plötzlich jemand von einer anderen Armee ein Alphorn ausprobierte oder dass ein Schweizer mit einer Amerikanerin Duette spielte. Wir konnten ausserdem sehr viel über die anderen Militärsysteme lernen und diese mit unserem vergleichen. Das Interessanteste war, dass die Band aus Norwegen und wir die einzigen Amateurmusiker sind und die Bands aller anderen Nationen aus Profimusikern bestehen. Die Norweger befanden sich am Ende ihrer Rekrutenschule. Alle anderen haben sich für viele Jahre als Militärmusiker verpflichtet. So waren wir die einzigen, die einem Wiederholungskurs absolvierten.

In der Zeit der Shows hatten wir morgens und nachmittags Freizeit, um Schottland zu erkunden. Die Vorstellungen fanden von Montag bis Samstag statt, wobei es am Samstag immer zwei Shows gab. Zur Erholung diente dann der Sonntag, an welchem wir komplett frei hatten. Von der Schweizer Armee wurden ausserdem einige Events und Ausflüge vorgeschlagen. Einmal gab es ein Cast-BBQ und ein andermal einen Bandausflug zum Stirling Castle oder ans Loch Lomond. An anderen Sonntagen fanden Ausflüge in die Highlands statt, eine Whisky- oder Gin-Degustation, ein Besuch im Fussballstadion der Hibernian Edinburgh oder einige andere Aktivitäten. Wir teilten uns für die Ausflüge immer in kleinere Gruppen auf und organisierten die Details selbst.  An den Show-Tagen unternahmen wir viele kleine Aktivitäten. Beispielsweise der Besuch eines Zoos, eines Adventure Room, von Falkirk, Edinburgh Castle, dem Hafen oder Calton Hill.

Die grösste Herausforderung war, dass wir alle Shows als gleich wichtig erachteten und die Konzentration immer aufrecht erhalten konnten. Es war erschreckend, wie schnell sich das riesige Erlebnis für uns «normalisierte». Nach etwa fünf Shows war es schon fast normal, vor diesem unglaublichen Publikum aufzutreten. Das aussergewöhnliche Gefühl in der Arena bestand jedoch immer. Wir hatten auch eine Vielzahl von Besuchern aus der Schweiz. In dieser Situation bemerkten alle Musikanten, dass es ein zusätzlicher Ansporn ist, die Show vor Angehörigen vorführen zu dürfen.